Monsterkonzerne in der Krise – Amazon

Hans Sergon Freyer Allgemein

 

TheShop

In QualityLand gibt es einen Onlineshop, der alles liefert. Weil es der einzige (relevante) Shop ist, heißt er auch TheShop. Der liefert sogar, wenn man gar nichts bestellt hat, weil der Algorithmus weiß, was man braucht, bevor man es selbst weiß. Marc-Uwe Klings Erzählung ist natürlich Fiktion. Es gibt nicht den einen einzigen Onlineshop, welcher alles liefert. Aber sind wir auf dem Weg dahin oder zumindest in die Richtung? Es gibt ein Unternehmen, welches in einer beispiellosen Erfolgsgeschichte geschafft hat, der Inbegriff des weltweiten Onlinehandels zu werden. Die Rede ist natürlich von Amazon. 1994 gründete Jeff Bezos, Vize-Präsident eines Wall-Street Hedgefunds, einen Online-Buchhandel. 2020 gehört Amazon zu den absolut größten Unternehmen und der Gründer Bezos ist mit einigem Abstand der offiziell reichste Mensch der Erde vor dem inzwischen zweitplatzierten Bill Gates.
In der relativ kurzen Firmengeschichte gab es reichlich Kritik an Amazons Praktiken. Aber egal, ob es um den Missbrauch von Marktmacht, die schlechte Behandlung von Mitarbeitern oder das Ausspähen von Benutzern durch den Dienst Alexa geht, geschadet hat es dem Konzern nicht. Amazon ist weiter auf Wachstumskurs und wird voraussichtlich einer der großen Gewinner der aktuellen Covid-19-Pandemie sein.

Amazon profitiert direkt von Corona

2019 war für Amazon ein Rekordjahr. Der Konzern hat 180,5 Milliarden US-Dollar umgesetzt, das ist eine Steigerung von 20% gegenüber dem Vorjahr. Der operative Gewinn stieg um fast 17 Prozent auf 14,5 Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig gehört Amazon zu den absolut Besten, wenn es darum geht, Steuern zu vermeiden. 2017 und 2018 beispielsweise zahlte der Konzern in den USA überhaupt keine Steuern, trotz zweistelliger Milliardengewinne. Im Gegenteil wurde sogar, offenbar ganz legal, ein Steuerguthaben angespart, mit dem man die zukünftige Steuerlast senken kann.

Amazon ging es also bereits vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie sehr gut. Das ist deshalb interessant, weil Amazon schon jetzt zu den Gewinnern der globalen Krise gehört. Den Einzelhandel, der in den USA bereits seit 2017 so stark zurückgeht, dass man von der sogenannten „retail-apocalypse“ spricht, werden die Maßnahmen zur Eindämmung des Viruses und die daraus resultierende Wirtschaftkrise vermutlich hart treffen. Doch während viele andere Unternehmen um ihre Existenz fürchten müssen, vor allem auch kleinere, lokale Anbieter, kündigte der Konzern an, alleine in den USA demnächst weitere 100.000 Voll-und Teilzeitstellen für Lager und Auslieferung zu schaffen. Er nähert sich damit der Zahl von global einer Million Mitarbeitern an. Für den Versandgiganten ist die Pandemie also alles andere als eine Krise.

Bei der Anwerbung von Mitarbeitern werden gezielt Menschen aus anderen Branchen angesprochen. Jeff Bezos verkauft diese Maßnahmen als einen Akt der Wohltätigkeit.

Derweil wurden Vorwürfe laut, Amazon tue zu wenig für die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter, worauf man mit kleineren Zugeständnissen reagierte, wie etwas 2$ mehr Stundenlohn (zeitlich begrenzt bis Ende April wohlgemerkt) und einer zweiwöchigen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Dass die Arbeitsbedingungen in den Warenlagern nicht gerade gut sind, wurde in der Vergangenheit mehrfach berichtet. In Zeiten von Covid-19 kommt ein zusätzliches Ansteckungsrisiko hinzu, diese Jobs können schließlich nicht im Home-Office erledigt werden. Amazon wies die Vorwürfe selbstverständlich zurück und erklärte seine Mitarbeiter zu „Helden“ der Gesellschaft, was natürlich nicht ganz falsch ist. Konsumenten, die sich Waren nach Hause liefern lassen, schützen sich selbst vor Ansteckungen. Die Lagerarbeiter und Auslieferer übernehmen dafür einen Teil des Risikos. An dem Bild stört nur, dass die heldenhaften Leistungen in vielen Fällen wahrscheinlich nicht ganz freiwillig erfolgen. Schließlich sind die Menschen auf ihre Jobs angewiesen. Prekäre Arbeitsbedingungen machen die Bildung von Reserven für Krisenzeiten fast unmöglich. Für die Mitarbeiter von Zustellpartnern, Amazon-Flex-Teilnehmer und saisonale Arbeitnehmer wurde ein Hilfsfonds eingerichtet, um auf Antrag eine finanzielle Hilfe in Höhe eines halben Monatsgehalts auszuzahlen. Dafür stellt der größte Handelskonzern der Welt 25 Mio $ zur Verfügung. Das entspricht in etwa 0,17% des oben genannten operativen Gewinns in 2019 oder 0,014% des Umsatzes, steuerlich absetzbar. Zur Veranschaulichung: Wäre Amazon kein Konzern, sondern ein Mensch mit einem Durchschnitteinkommen von 36.000€, entsprächen die 0,014%, mit denen der Fonds ausgestattet wurde, einer Investition von 5,04€. Nicht gerade beeindruckend. Besonders dreist ist, dass man auf der Webseite des Fonds zusätzlich um Spenden bittet.

In Warenlagern in Italien und Spanien sind bereits Mitarbeiter an Corona erkrankt, unter anderem weil man sich weigerte Atemschutmasken auszuteilen, wie italienische Gewerkschafter berichten.

und indirekt

Neben den direkten Erträgen aus der Pandemie profitiert Amazon auch vom allgemeinen Wachstum im digitalen Bereich. AWS von Amazon ist zwar nicht mehr der größte Anbieter von Cloud Services, aber direkt hinter Microsofts Azure immerhin der zweitgrößte weltweit. Zu den Millionen von Kunden zählen unter anderem Apple und Netflix.

Eine Besonderheit gegenüber den anderen Tech-Giganten ist, dass Amazon sehr stark bemüht ist, neben den digitalen auch immer weiter analoge Märkte zu erobern und zu dominieren. Zu dieser Strategie gehört neben den beschriebenen AWS-Servern, dass Amazon weltweit eine eigene Logistik aufbaut und damit einerseits unabhängiger von Anbieteren wie DHL oder UPS wird und sich andererseits einen größeren Anteil an der Wertschöpfung einverleibt. Darüber hinaus ist der Konzern längst in den Lebensmittelmarkt eingestiegen. In den USA wurde die Supermarktkette Whole Foods gekauft, welche durch die Virus-Pandemie ein starkes Wachstum des Lieferdienstes erlebt. Auch dies ist ein Grund, warum neue Mitarbeiter eingestellt werden.

Warum das problematisch ist

Dystopien wie Qualitiy Land helfen uns die Welt, in der wir leben, aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Durch die fiktionale Übertreibung können wir erkennen, was wir sonst nicht sehen, weil wir es als normal und alltäglich betrachten. Wer hätte 1995 gedacht, dass aus dem Online-Buchhändler in nur wenigen Jahren einer der größten Technologiekonzerne der Welt werden würde? Nicht viele wahrscheinlich.
Nicht nur das, durch die vertikale Integration, die Amazon betreibt, also die Ausweitung des Betriebs auf größere Teile der Wertschöpfungs- und Lieferkette, werden weitere Branchen unter Druck gesetzt. Dies betrifft schon seit einiger Zeit den Einzelhandel. Wie wird die Situation nach der Pandemie aussehen? Wie wird sie aussehen, wenn es zu der befürchteten Weltwirtschaftskrise kommt, in der viele Unternehmen entweder untergehen oder mit staatlichen Mitteln gerettet werden müssen? Möglicherweise bietet sich für Amazon dann die Gelegenheit weitere Einzelhandelsketten aufzukaufen und gleichzeitig die Logistik auszubauen. Und dann? Der Einstieg in den Agrarmarkt oder die Industrieproduktion vielleicht? Dann wäre Amazon längst kein Online-Shop mehr, sondern würde die Produktions- und Lieferkette vom Rohstoff bis zum Endprodukt kontrollieren. Ob die Strategie wirklich so oder so ähnlich ist, ist natürlich Spekulation. Das bisherige agressive Wachstum, vor allem auch in ganz neue Branchen, spricht allerdings dafür. Um den noch nicht absehbaren Gefahren dieser vertikalen Verschmelzung von digitalen und analogen Angeboten durch Großkonzerne zu begegnen, fordert das Bündnis „Konzernmacht beschränken“, zu dem auch Goliathwatch gehört, diese Kopplungsgeschäfte kartellrechtlich stärker zu regulieren.

Wie bereits erwähnt, ist die Corona-Pandemie für Amazon keine Krise, eher eine große Chance. Wird Amazon tatsächlich gestärkt aus der Pandemie hervorgehen? Wird man dort in den nächsten Jahren mit gefüllten Kassen eine noch aggressivere Expansionspolitik gegenüber der angeschlagenen Konkurrenz fahren können und die eigene Macht weiter vergrößern? Wie es weitergeht, wird sich zeigen. Eines ist jedenfalls klar, sollte es TheShop jemals geben, wäre Amazon der aussichtsreichste Kanditat. Auch die ungefragt gelieferten Pakete sind längst Realität.

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