Kampagnenresümee: BTW21 gerettet, aber…ist #digitaledemokratie #fairstattfake?

Thomas Dürmeier Demokratie, Digitalisierung, Kampagne

Die Bundestagswahl 2021 wurde vor starker digitaler Wahlmanipulation gerettet. Wir haben Trump-Methoden im Bundestagswahlkampf im breiten Bündnis Campaign-Watch erfolgreich verhindert. Dank an jede:n, der oder die uns unterstützt hat, ob mit Engagement, Unterschriften oder Spenden. Jetzt muss ein Gesetz der Ampel-Koalition folgen und eine aktive Umgestaltung der Sozialen Medien. Wir müssen uns von der Manipulationsmacht der Digitalgiganten Facebook/Meta, Youtube/Google, TikTok uvm. befreien.

Ausgangspunkt

Während in der Vergangenheit so manche Wahlentscheidung am Bier- und Bratwurststand der jeweiligen Partei gefällt wurde, mussten die Parteien 2021 auf Wahlkampf vor Ort und in der realen Welt weitestgehend verzichten. Bedingt durch die Corona-Epidemie hat sich der Wettstreit um die Wähler:innengunst von der Straße in ein digitales Umfeld verlagert. Statt mit Freibier zu punkten galt es nun, Sympathiepunkte in den sozialen Medien zu erkämpfen.

Leider gelten für den Wahlkampf im Netz kaum Regeln, die Wählerinnen und Wähler vor Manipulation, Diskriminierung und Eingriffen in die Privatsphäre schützen. Wir wissen heute, dass sowohl bei der Frage des Brexits als auch bei der Präsidentenwahl von Donald Trump 2017 versucht wurde, Entscheidungen mithilfe von Facebook-Daten zu beeinflussen. Dabei kategorisiert der Facebook-Algorithmus Merkmale wie Alter, Geschlecht und Interessen seiner Nutzer:innen, um Wahlwerbung möglichst effektiv zu gestalten, indem man den so identifizierten Gruppen politische Botschaften zuspielt, die speziell auf ihre Interessen zugeschnitten sind (= Micro-Targeting). In den USA wurden bestimmten Gruppen statt echter Wahlwerbung auch Falschmeldungen und Desinformation (Fakenews) gezeigt. Programme schrieben dank künstlicher Intelligenz eigenständig Kommentare, die auf bestimmten Seiten hohen Traffic oder ein bestimmtes Meinungsbild vortäuschten (social Bots).

Wir von Goliathwatch fordern einen fairen Wahlkampf, der auch im Netz alle demokratischen Werte erfüllt. Mit unserer Kampagne #digitaledemokratie #fairstatfake wollten wir verhindern, dass die Wählerschaft durch Fakenews, social bots, Micro-Targeting und durch den Einsatz von Troll-Armeen in ihrer Wahlentscheidung manipuliert wird.

Aufforderung zur Stellungnahme an die Parteien / Feststellung des Status Quo (alternative Überschrift)

Zunächst haben wir von Goliathwatch die großen Volksparteien CDU/CSU, SPD, Die Grünen, FDP und Die Linke aufgefordert, Stellung zum digitalen Wahlkampf zu beziehen. Wir haben gefragt, welche Herausforderungen und Gefahren sie sehen, ob und in welcher Form sie Micro-Targeting nutzen und wie sie zu einer Selbstverpflichtung stehen, die eine Wahlmanipulation über die sozialen Medien verbietet und welche Maßnahmen eine mögliche Selbstregulierung für sie beinhalten würde.

 

Wahlprüfsteine

Die Antworten der Parteien wurde von uns ausgewertet und als Wahlprüfsteine auf unserer Goliathwatch Website veröffentlicht (hier gehts zur den Wahlprüfsteinen).

Während CDU und CSU auf unsere Anfrage trotz mehrmaligen Nachfragens nicht reagiert haben, bekannten sich SPD, Grüne und die LINKE klar zu einem fairen Wahlkampf, was auch den Verzicht auf Micro-Targeting einschließt. Darüber hinaus haben SPD und Grüne eine Selbstverpflichtung gezeichnet (hier gehts zu den Detailantworten der Parteien).

Die FDP hat geantwortet, dass sie Micro-Targeting nutzt, um gezielt an unterschiedliche Gruppen für diese relevante Wahlwerbebotschaften zu übermitteln.

„Selbstverständlich passen wir unsere Online-Werbung auf verschiedene Zielgruppen an. Dies ist wichtig, da gesellschaftliche Gruppen sich für verschiedene Themen interessieren und wir jede dieser Gruppen mit für sie relevanten Botschaften erreichen wollen.“ (Antwort, FDP, Zeile 27 -29, hier gehts zu den Detailantworten der Parteien)

 

Erste Aktion für mehr Transparenz vor der CDU-Parteizentrale in Berlin

Da CDU und CSU als einzige Parteien uns gegenüber Transparenz in Bezug auf ihren Wahlkampf verweigerten, planten wir eine Aktion vor der CDU-Parteizentrale in Berlin.

Am 27.4.2021 standen wir vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin und forderten die CDU auf, ihren Wahlkampf fair und ohne einseitige Wahlbeeinflussung über die sozialen Medien zu gestalten.

Bild: Aktion von Goliathwatch vor der CDU-Zentrale in Berlin

Das Thema bekommt Aufmerksamkeit

Während des Wahlkampfes haben verschiedene öffentliche Medien das Thema fairer, digitaler Wahlkampf aufgegriffen. So die SZ, der MDR und das Team um Jan Böhmermann, der in seiner Sendung am 30.4.21 dazu auffordert, die Browsererweiterung „Whotargetsme“ zu installieren, um personalisierte politische Botschaften (Mikro-Targeting) zu erfassen.

Der Medienforscher Simon Kruschinski M. A. von der Universität Mainz kritisiert die Praktiken von Facebook als „Überwachungswerbung“: Die Plattform spähe die Nutzer:innen aus, um ihnen die passende Wahlkampfwerbung zu zeigen.

 

Aktion in Berlin Facebook & Co – Totengräber der Demokratie

Auch wir von Goliathwatch sehen die Demokratie durch die sozialen Medien stark gefährdet. Anlass für eine weitere Aktion in Berlin. Am 16.9.21 standen wir vor dem Bundestag und forderten erneut #digitaledemokratie #fairstattfake.

Bilder: Aktion von Goliathwatch vor dem Reichstag in Berlin

Der Wahlkampf # fair statt fake?

Der Wahlkampf stand unter Beobachtung. So schaltet Tagesschau.de am 06.09.2021

eine Analyse der Parteien und wie diese die Wähler digital umwerben. Nachzulesen hier:  (https://www.tagesschau.de/inland/btw21/digitaler-wahlkampf-101.html)

 

Simon Kruschinski M. A. von der Universität Mainz analysierte sponsored Posts and Ads
(https://www.polkom.ifp.uni-mainz.de/forschung/dipaca/) und kam zu folgendem Ergebnis:

Die digitale Werbung, die ab dem 30.8. auf Facebook und Instagram ausgespielt wurde, dominierte rein von der Anzahl die FDP. Die Liberalen spielten 124 unique Werbeanzeigen in 899 Versionen aus. Dies deutet auf eine ausgeklügelte digitale Werbestrategie hin, die das Ausspielen vieler Kampagnenbotschaften mit unterschiedlichen Kampagnenzielen an vielfältige Zielgruppen in das Zentrum rückt.

Abbildung:

Die Aktivität der FDP ist wenig verwunderlich, kündigte sie doch auf unsere Anfrage hin bereits an, auf digitale und personlisierte Werbung zu setzen.

Jan Böhmermann allerdings zeigt in seiner Sendung ZDF Magazin Royale vom 24.9.21, dass die FDP nicht nur Mikro-Targeting nutzt, sondern auch, dass sich die Werbeinhalte dabei anscheinend widersprechen. Für die Zielgruppe, die sich für „Umweltschutz“ oder „Organic Food“ interessierte, soll die FDP mit einem strikten CO2-Limit als effektive Maßnahme gegen den Klimawandel geworben haben. Bei der Zielgruppe aus, die Böhmermann als „vielreisende Business-Jetter“ betitelte sei Wahlwerbung gezeigt worden, in der sich die Liberalen gegen Freiheitseinschränkungen und staatliche Verbote aussprachen.

Bild: Kritische Kommentierung der FDP-Posts durch Jan Böhmermann

Somit hat sich erwiesen, dass Wahlkampf im Netz schon nicht bei allen großen Volksparteien fair verläuft. Nicht alle haben eine Selbstverpflichtung gezeichnet. Wir fordern deshalb, dass die Regulierung des digitalen Wahlkampfes in den Koalitionsvertrag der kommenden Regierung muss

Unsere Forderungen während der Bundestagswahl 2021

Wir von Goliathwatch fordern:

1. Selbstverpflichtung der Parteien für einen fairen digitalen Wahlkampf

a. Begrenzung des politischen Microtargetings durch Festlegung konkreter Regeln

i. Keine Nutzung von verhaltensbasierten Daten aus Nutzer*innenprofilen
ii. Festlegung einer Mindestgröße von Werbezielgruppen
iii. Verpflichtung zur Kenntlichmachung politischer Werbung auf Social Media
iv. Keine Nutzung von Social Bots, Hyperactive User oder Trollfabriken im digitalen Wahlkampf

b. Transparenzpflicht: Nutzung der politischen Onlinewerbung

i. Offenlegung der genutzten Werbekanäle
ii. Offenlegung des genutzten Microtargetings
iii. Einsatz für einheitliche und transparente Werbearchive gegenüber den Tech-Konzernen

c. Transparenzpflicht: Finanzierung der politischen Wahlkampagne im digitalen Raum

i. Offenlegung von Wahlkampfausgaben
ii. Keine Nutzung von Zone Flooding: Finanzierungsmöglichkeiten finanzstärkerer Parteien darf den Wahlkampf nicht verzerren

II. Verpflichtung zum Erwirken eines Gesetzes zur staatlichen Regulierung und unabhängigen Kontrolle – Regulierung des digitalen Wahlkampfes muss in den Koalitionsvertrag der kommenden Regierung