Was wir erwarten von Merkel in der EU – Positionspapier zur EU Ratspräsidentschaft

Thomas Dürmeier Lieferkettengesetz, Position, Treaty

Wenn die Bundesregierung mit der EU Kommission die Regierungsverantwortung für die Europäische Union übernimmt, erwarten wir Fortschritte für alle Menschen und für die Natur. In einem breiten Bündnis tragen wir das Positionspapier mit.

Deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um die Wirtschaft resilienter und menschenrechtskonform zu gestalten

Das gesamte Positionspapier ist als Download hier erhältlich.

Ab dem 1. Juli 2020 übernimmt Deutschland für sechs Monate die Präsidentschaft im Rat der Europäischen
Union. Diese EU-Ratspräsidentschaft wird stark bestimmt sein von den Auswirkungen der
Corona-Pandemie, gerade auch von deren ökonomischen Folgen. Den notwendigen Wiederaufschwung
gilt es als Chance zu nutzen, um die europäische Wirtschaft zukünftig resilienter zu gestalten.
Denn die Corona-Krise demonstriert auf dramatische Weise die Fragilität und Anfälligkeit globaler
Lieferketten: nicht nur für europäische Unternehmen, sondern besonders für die Beschäftigten im
Globalen Süden. Deshalb darf „resilient“ längst nicht nur bedeuten, dass die medizinische Grundversorgung
oder die Zufuhr mit notwendigen Vorprodukten für europäische Unternehmen gesichert
sein soll. Mindestens ebenso wichtig ist es, dass die Menschen in der gesamten Lieferkette in den
Blick genommen werden. Ihre Menschenrechte müssen geachtet, ihre Lebensumwelt muss geschützt
werden.

Die Europäische Kommission hatte schon vor der Corona-Pandemie mit dem European Green Deal
Ende 2019 ein umfangreiches Maßnahmenpaket für nachhaltiges Wirtschaften angestoßen. Das
muss eingebettet sein in eine europäische Wirtschaftspolitik im Einklang mit den Menschenrechten.
Hierbei kann die EU an den EU-Aktionsplan für die Finanzierung nachhaltigen Wachstums
(„Sustainable Finance“) anschließen. Im Rahmen dieses Aktionsplans hatte die Generaldirektion Justiz
im Februar 2020 eine umfangreiche Studie veröffentlicht, die die Notwendigkeit einer Regulierung
von unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette unterstreicht. Laut der Studie halten 70
Prozent der Unternehmensvertreter, die auf eine Befragung geantwortet hatten, eine gesetzliche Regelung
von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten für vorteilhaft.

Vor diesem Hintergrund erwarten die Unterzeichnerorganisation von der Bundesregierung im Rahmen
ihrer Ratspräsidentschaft folgende wesentliche Schritte:

1. Erwartungen an einen EU-Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte

Kurz nach Verabschiedung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte hatte
die EU-Kommission im Rahmen ihrer CSR-Mitteilung Ende 2011 angekündigt, einen entsprechenden
Umsetzungsplan zu erarbeiten. Während viele Mitgliedsstaaten bereits nationale
Aktionspläne erstellt haben, steht dieser auf europäischer Ebene immer noch aus. Mehrere
Bundesministerien planen einen solchen Aktionsplan während ihrer Ratspräsidentschaft intensiv
vorantreiben.
Im Zentrum eines EU-Aktionsplans sollte eine EU-weite Regulierung unternehmerischer
Sorgfaltspflichten für Menschenrechte und Umwelt stehen, die auf den UN-Leitprinzipien für
Wirtschaft und Menschenrechte sowie den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen
basiert. Darüber hinaus sollte der Aktionsplan auch andere EU-relevante Aspekte der
UN-Leitprinzipien umfassen. Dazu gehört der Vorrang von Menschenrechten in der Handelsund
Investitionspolitik, eine menschenrechtskonforme Rohstoffpolitik, öffentliche Beschaffung
im Einklang mit den Menschenrechten, ein verbesserter Rechtszugang in der EU für Betroffene
von Menschenrechtsverstößen durch europäische Unternehmen, Maßnahmen zum
Schutz von vulnerablen Gruppen wie Menschenrechtsverteidiger*innen und Indigenen sowie
der Einsatz für internationale Regeln zum Schutz der Menschenrechte in der globalen Wirtschaft.

2. Ambitionierte europäische Regulierung zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten

Seit vielen Jahren fordert nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern auch das EU-Parlament, der
Europäische Rat und mehrere nationale Parlamente, eine verbindliche Regulierung menschenrechtlicher
und umweltbezogener Sorgfaltspflichten auf europäischer Ebene ein. Auch
mehr und mehr Unternehmen unterstützen diese Forderung, wie u.a. die oben genannte
Studie der EU-Generaldirektion Justiz zeigt. Basierend auf den Empfehlungen dieser Studie
hat der EU-Justizkommissar Reynders Ende April angekündigt, im Jahr 2021 einen Vorschlag
für eine verbindliche Regulierung für unternehmerische Sorgfaltspflichten vorlegen zu wollen.
Die EU sollte eine ambitionierte, sektorübergreifende Regelung zu menschenrechtlichen
und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten von Unternehmen erlassen. Diese Regelung muss
alle Unternehmen einbeziehen, die in einem EU-Mitgliedsstaat angesiedelt sind oder die Produkte
und Dienstleistungen auf dem EU-Binnenmarkt anbieten, und sie dazu verpflichten, in
der gesamten Wertschöpfungskette Sorgfalt walten zu lassen. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen
verpflichtet werden, die Einhaltung der Vorgaben zu kontrollieren und Unternehmen bei
Verstößen zu sanktionieren. Ebenfalls müssen die Mitgliedsstaaten eine zivilrechtliche Haftung
ermöglichen, wenn Unternehmen einen vorhersehbaren und vermeidbaren Schaden
mitverursacht haben. Als größte Volkswirtschaft der EU und Inhaber der EU-Ratspräsidentschaft
im zweiten Halbjahr 2020 muss Deutschland nun vorangehen und mit einem eigenen
Lieferkettengesetz ambitionierte Maßstäbe setzen.

3. Handelspolitik

Zwar hat sich die EU 2009 im Vertrag von Lissabon verpflichtet, die Menschenrechte in allen
Politikfeldern – und damit auch in ihrer Handelspolitik – zu achten und zu fördern. Die Umsetzung
dieser Verpflichtung erfolgt bislang hingegen unzureichend. So erlauben Menschenrechtsklauseln
in den meisten Abkommen grundsätzlich die Aussetzung von Handelspräferenzen
bei Verstößen gegen die Menschenrechte. Doch sind die Hürden für die Aktivierung
der Klausel sehr hoch. Die Nachhaltigkeitsfolgenabschätzungen der EU zu Handelsabkommen
wiederum enthalten inzwischen zwar Menschenrechtskapitel, werden in der Regel aber erst
zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, wenn die Verhandlungen über Handelsabkommen bereits
1 Das Europäische Netzwerk ECCJ (European Coalition for Corporate Justice), in dem aus Deutschland das CorANetzwerk
für Unternehmensverantwortung vertreten ist, hat Anforderungen an eine europäische Regelung
ausgearbeitet: „EU Model Legislation on Corporate Responsibility to Respect Human Rights and the Environment“
https://corporatejustice.org/2020-legal-brief.pdf
weitgehend oder vollständig abgeschlossen sind, so dass sie so gut wie keine Wirkung entfal-ten.  Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten das Handelsabkommens mit dem MERCOSUR auf-grund der hohen Risiken für Umwelt, Klima und Menschenrechte nicht ratifizieren. Diese Risi-ken sind vor dem Hintergrund der klima- und menschenrechtsfeindlichen Politik des Präsi-dent Jair Bolsonaro umso größer. Das Abkommen enthält zudem keinerlei wirkungsvolle Schutzmechanismen für Umwelt und Menschenrechte. Die EU muss ihre Handelspolitik grundsätzlich an den aktuellen sozial-ökologischen Herausforderungen neu ausrichten. Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft sollte die Bundesregierung zudem endlich ihr Vorhaben umsetzen, sich in der EU für wirkungsvollere und rechtzeitige Nachhaltigkeitsfolgenabschät-zungen und verbindliche Menschenrechtsstandards in Handelsabkommen einzusetzen.

4. Internationale Regelung zu Wirtschaft und Menschenrechten (UN Treaty)

Bei den Verhandlungen um ein verbindliches Abkommen zur menschenrechtlichen Regulie-rung des globalen Geschäftsverkehrs liegt seit Juli 2019 ein überarbeiteter Vertragsentwurf vor, der gegenüber Vorgängerversionen substantielle Verbesserungen enthält, die von NRO und auch von zahlreichen Regierungen gelobt wurden. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass die Vertragsstaaten nationale Gesetze erlassen müssen, um ihre Unternehmen zu men-schenrechtlicher Sorgfalt zu verpflichten. So entstünde ein level playing field bezüglich des Menschenrechtsschutzes in der Wirtschaft, das im Interesse von vielen Unternehmen ist. Ob-wohl der EU-Vertreter dieses Potential zu Beginn der letzten Verhandlungsrunde betonte, beteiligte sich die EU wie auch die Bundesregierung – im Gegensatz zu vielen anderen Regie-rungen wie Frankreich, Spanien und Belgien – im Anschluss nicht an der inhaltlichen Diskus-sion des Vertragsentwurfs.  Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sollte die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass sich die EU konstruktiv an der weiteren Ausarbeitung des UN Treaty beteiligt. Sie sollte selber aktiv und konstruktiv an den Verhandlungen teilnehmen und sich dafür einset-zen, dass der Rat der Kommission ein entsprechendes Verhandlungsmandat für jene Berei-che erteilt, die in die Zuständigkeit der EU fallen.

5. Kriterien für wirksame Multi-Stakeholder-Initiativen

Die Bundesregierung setzt im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft auf den Ausbau von Mul-tistakeholder-Initiativen (MSI) und will Kriterien erarbeiten, wie diese MSI wirksam gestaltet werden können. NRO haben seit vielen Jahren Erfahrungen mit MSI gesammelt und halten diese allenfalls für eine Ergänzung, nicht jedoch als einen Ersatz für gesetzliche Rahmenset-zungen zur menschenrechtlichen Sorgfalt von Unternehmen.  Damit MSI wirksam sein können, müssen sie u.a. auf verpflichtenden Grundlagen basie-ren, verbindliche Ziele für die beteiligten Unternehmen umfassen, transparent und wirkungs-orientiert sein und die Wirkung regelmäßig ermitteln. Zudem muss eine MSI Beschwerdeme-chanismen und Sanktionen für den Fall vorsehen, dass sich die Beteiligten nicht an die ver-einbarten Regeln halten.